Unbekanntschaften

Hundert Gesichter und keine Form, an die er sich erinnern kann. Nur durch die Art ihrer Klagelaute bleiben sie ihm im Gedächtnis.

Das richtige Wort, du wirst ihn niemals wiedersehen. Das falsche, er hängt auf Ewigkeiten an dir.

Je einen Freund für jede Stimmung haben und ihnen nichts voneinander erzählen. Die Furcht vor ihrer zufälligen Begegnung und Vermischung.

Er besteht aus allen Vermutungen, die die Menschen über ihn aufstellen. Tröpfchenweise läuft er damit voll bis zum Rand, und sie beobachten, wie er sich von ihren Mutmaßungen wieder freischwimmt. Doch mit jeder Bewegung macht er sich weiter verdächtig, hinterlässt Spuren, die als Beweis dienen und gibt damit denen Recht, die ihre Unterstellungen auf der Zunge tragen. Sein Widerstand ist vergebens, nichts überzeugt sie vom Gegenteil und ihre eigenen Worte sind ihnen so heilig, dass sie sich damit selbst ertränken würden, um es zu beweisen.

Sie trägt anderen ihre Würde nach, ihre eigene vergisst sie dabei.

Wer muss ihn noch alles verlassen, damit er endlich merkt, wie einsam er ist?

Sie freundet sich mit jedem an, der ihr einen Blick zuwirft. Sie kündigt allen die Freundschaft, die sie zu lange ansehen.

Anstelle der schmalen, gedankenlosen Gesichter wünscht er sich fette, aufgeschwemmte, die wie überreife Früchte kurz davor sind zu platzen. Ihnen möchte er ihre innere Fäulnis von den Augen ablesen können.

Der Friedensstifter: Er erfindet sich Feinde und versöhnt sich sofort wieder mit ihnen.

Erst im hohen Alter will er sich mit seinen Erinnerungen befassen, aber immer sind es die der anderen, die ihn davon abhalten.

Man sieht ihn nicht, er wird bloß gegrüßt.

Jeden Morgen zeichnet sie ihre eigenen Schuhabdrücke auf der Treppe des Hausflurs mit einem Kohlestift nach, als erhalte sie regelmäßigen Besuch.

Damit die anderen nicht zu ihm hinaufschauen müssen, liegt er im Staub zu ihren Füßen.

Der Gedanke, sie sei allein im Zimmer, beunruhigte sie mit jeder Sekunde mehr.

So bedeutsam und gewaltig erschien ihm der Moment im Nachhinein, dass er ihn sich für jemand anderen gewünscht hätte.

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