
Die Heimatverkünderin kommt immer zu Hause an, egal wohin sie geht. Sie hat ein untrügliches Bewusstsein für Behaglichkeit, und je unbekannter ihr der Ort ist, an dem sie weilt, desto häuslicher und gemütlicher richtet sie es sich dort ein. Zu verdanken ist dies ihrem ständigen Begleiter, der sie vor jedweder Unwirtlichkeit schützt und der die Kraft besitzt, der Umgebung ihre natürliche Fremdheit auszutreiben. Sie fand ihn vorzeiten in einem Buch, Titel und Inhalt von ihr längst vergessen, allein dieses eine Wort ist ihr in Erinnerung geblieben. Einmal ausgesprochen, verliert sie die Furcht vor dem Unbekannten und belebt und erhebt sich an seinem Zauber. Wenn sie sich etwa beim Pilze sammeln im Wald verläuft oder als einzige Passagierin im Transitbereich eines verlassenen Flughafens strandet, dann stellt sie sich ganz einfach hin, ruft mit aller Kraft „Ecce!“, und jeder Raum verwandelt sich in ihr Refugium.
Dieser Ausruf, der nichts weiter als „Schau!“ bedeutet, ist an niemand anderen als an sie selbst gerichtet. Auch wenn der Heimatverkünderin die Welt nicht fremd sein darf, das Wort muss in einer anderen Sprache ertönen, muss einen Abstand zwischen Anschauung und Äußerung wahren, damit sie es mit Vertrautheit füllen kann. Da auf der Waldlichtung zeigen sich plötzlich vorher unerkannte Muster an den Baumrinden, die sie an den Apfelbaum im Garten ihres Großvaters erinnern, und die flackernde Neonröhre über den Sitzbänken am Gate wird zum Stroboskop vergangener Tanznächte. Das zuvor Entgangene und Unbeachtete traut sich erst durch ihren Ausruf aus seinem Versteck, möchte angesehen und beschaut werden, so als habe es jahrelang nur darauf gewartet, dass es jemand aus seinem Schlummer weckt.
Manchmal erfindet die Heimatverkünderin sich ein Unbehagen, nur um es verzaubern zu dürfen, stellt sich kaputte Gegenstände oder zerbrochenes Werkzeug vor und malt sich eine Welt aus, in der diese Dinge (eine Gießkanne ohne Ausguss, eine Heckenschere ohne Scherenblätter, ein Hammer ohne Kopf) erst aufgrund der Verformung zu ihrer wahren Bestimmung gelangen. Orte, die für sie unerreichbar sind, haben einen besonderen Reiz, da sie glaubt, dort müsse es herrlich unwirtlich zugehen. Sie wünscht sich dann eine zweite Verkünderin in diesen Gegenden, die wie sie alles ins Gute und Reine verwandelt, und sei es nur in eine fremde Erinnerung an ihre Heimat, die sie damit berührt.
Die größte Sorge der Heimatverkünderin ist, dass sie verstummt, oder dass ihr Begleiter sie verlässt, denn dann wäre die Fremdheit der Welt ihr unerträglich. Sie gibt sich darum die größte Mühe, ihn nicht aus den Augen zu verlieren und schreibt ihn in jedes Buch, das sie liest und ritzt seinen Namen in jeden Baum, an dem sie vorbeiläuft, wie eine Verliebte. Tage und Nächte probt sie seinen Ausspruch, um zu prüfen ob er noch da ist, und dann hört man sie nur „Ecce!“ bellen, stundenlang wie eine Besessene. Je länger diese Verbindung besteht, desto abhängiger wird sie von ihm, und manch einer glaubt, dass nicht sie über das Wort verfügt, sondern das Wort über sie. Sie wird sich damit selbst zur Fremden in ihrer Heimat, und nur wenn jemand Unbekanntes sie ansähe und ihr seinen Heimatspruch verkünde, wäre sie erlöst.