
Die Distanzvermählerin hat ein unersättliches Bedürfnis, Verbindungen herzustellen. Jeder kleine Abstand, jede noch so weit entfernte Unzugänglichkeit verursacht ihr körperliches Leid. Als im Radio von einer eingestürzten Brücke in einem ihr unbekannten Land berichtet wurde, hat sie drei Tage krank im Bett zugebracht. Opfer gab es keine, die hätten sie auch nicht interessiert, einzig und allein um die nicht mehr vorhandene Verbindung hat sie getrauert. Ihre ganze Wohnung ist daher mit Fäden durchzogen, die zwischen jedem Teller und jeder Tasse aufgespannt sind, die den Schreibtisch mit der Badewanne und den Kleiderschrank mit dem Backofen verknüpfen. Alles braucht seine Zuordnung, jedes Ende seinen Fortgang, und für die Menschen wünscht sie sich, dass sie ihr Leben lang mit ihren Nabelschnüren umherliefen, damit ihre frühere Bindung sichtbar bliebe.
Schaut die Distanzvermählerin in einen Atlas und findet eine Insel, reist sie hin, um nach einem verborgenen Anschluss ans Festland zu suchen. Gibt es keinen, schreibt sie Briefe an die Einwohner und beobachtet das startende Flugzeug oder das Schiff, das sie transportiert, und weint vor Freude über die Luft- oder Wasserbrücke, die sie gebaut hat. Abends durchforstet sie die Zeitungsanzeigen nach verschollenen Personen. Liest sie dort von einem seit Jahrzehnten vermissten Bruder, von dem allein Name und Alter bekannt sind, hat sie ihn nach einer Woche auf einem anderen Kontinent ausfindig gemacht und die Geschwister wieder vereint. Von der Schwester möchte sie nichts hören, jedes an sie gerichtete Dankeswort wäre eine Qual, sodass die Distanzvermählerin das Telefon ausstellt und die Klingel stummschaltet, bis der Sturm vorüber ist.
Lob und Anerkennung verachtet sie, die können ihr gestohlen bleiben, sonst kommt ein Ruhmsüchtiger daher und will es ihr nachmachen. Die Leute haben nicht das richtige Maß, wollen Distanzen verringern, wo keine sind, und vergrößern die Räume durch ihr ungeschicktes Vermessen. Sie ist überzeugt, dass sie mehr für die Vereinigung der Menschheit getan hat als jeder andere auf diesem Planeten, und sollte jemand herausfinden, wer sie ist und was sie treibt, wäre ihr der Friedensnobelpreis sicher. Doch Bekanntschaften vermeidet die Distanzvermählerin; nichts hasst sie mehr als die von anderen geschaffene Nähe zu ihr. Eher lässt sie sich von den Fäden in ihrer Wohnung erwürgen, als dass sie eine Verbindung mit der Außenwelt eingeht.