Ausblicke

Die Talsohlen, durch die er geht, sind ihm nie tief genug. Wenn er aufschaut – er muss sich gar nicht strecken – sieht er noch Gipfel und Bergkuppen, die ein Gefühl von Zuversicht vortäuschen, von „da hinten ist noch etwas“. In diesen Abschnitten verlangsamt er seine Schritte so, dass er beinahe rückwärtsgeht.

Er ordnet alle Steine, die er findet, heimlich nach ihrer Größe, damit sie ihm allein zur Wegmarkierung werden.

Wie ein Bergarbeiter gräbt er in seinen Mitmenschen nach Gemeinsamkeiten.

Der Schatten, den er wirft: immer zu kurz oder zu lang. Zigmal ändert er seine Route, um ihn nicht mehr sehen zu müssen.

Den Blick heben und senken als erste Handlung des Tages, um sich mit der wieder neu erschaffenen Welt vertraut zu machen.

Abseits der ausgetretenen Pfade ist er schneller unterwegs. Er vergisst dann, dass man ihn nicht beobachtet.

Er hört sich taub an der Tiefe der Schluchten, immer wieder muss er seinen Kopf über den Abgrund halten und in ihn hineinlauschen.

Den Weg mehrmals beschreiten, ihn immer mit anderen Augen betrachten: mit offenen, mit geschlossenen, mit fremden; mal auf Stelzen von oben herab, mal von ganz unten im Kriechen; liegend auf dem Rücken, oder überkopf im Sitzen. Auf diese Weise das Bild zusammensetzen. Aber immer ist da eine Perspektive, die er nicht bedacht hat und die alles unvollständig werden lässt.

Wie weit muss er laufen, bis er endlich jemanden findet, der ihm nicht ähnlich sieht?

Brüche in der Landschaft wie geplatzte Felsadern, in die die Sonne sich hineinzwängt. Überall sind gesprenkelte Lichtahnungen im Stein, die ihre eigene Herkunft verwischen.

Das provisorische Errichten des Berges in Minuten und sein sorgfältig geplanter Abbau über Jahrzehnte.

Die sich belebende Aussicht durch den, der sie zum ersten Mal wahrnimmt.

Schreibend die Ich-Landschaft erkunden. Mit jedem Strich die eigene natürliche Begrenzung auflösen.

Nach der täglichen Wanderung kehrte er an seinen Aussichtspunkt zurück, von wo aus er den Wald überblickte. Erst nach fünfzehn Jahren bemerkte er das Fehlen des Waldes, und er schwor sich, nie wieder einen Fuß vor die Tür zu setzen.

Das Ziel vor Augen, schlägt er einen anderen Weg ein. Sein Abenteuer darf noch nicht enden. Nicht bevor er hier alles gesehen hat.

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